Sascha Lobo über Threads, die Twitter-Konkurrenz von Meta: Klonkünstler versus Trollmiliardär (2024)

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Sascha Lobo über Threads, die Twitter-Konkurrenz von Meta: Klonkünstler versus Trollmiliardär (1)

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Wie so oft in der Weltgeschichte nimmt das Unheil seinen Lauf mit der einseitigen, unerwiderten Liebeserklärung eines Mannes. Kurz vor Weihnachten, am 21. Dezember 2017, twittert der On-off-reichste Mann der Welt, Elon Musk, den kurzen Satz: »I love Twitter«. Einer der Twitter-Gründer, Jack Dorsey, tut seine Liebe zu Twitter daraufhin ebenfalls kund, aber eine der Antworten an Musk stammt von einem Mann namens Dave Smith. Sie lautet: »You should buy it then«, dann solltest du es kaufen. Worauf Musk fragt: »Wie viel kostet es?« Dave Smith hat heute in seiner Account-Beschreibung stehen: »Sorry wegen Twitter, das war meine Schuld«.

In der Tat ist nicht vollkommen auszuschließen, dass Elon Musk dadurch auf die Idee gebracht wurde, Twitter zu kaufen. Musk war mal ein überaus erfolgreicher und visionärer Unternehmer. Reste dieser Eigenschaften sind sicher noch irgendwo in den Tiefen der Musk-Seele verborgen, aber inzwischen überwiegen die erratischen, absurden, gefährlichen Entscheidungen und Äußerungen.

Elon Musk durchlebt eine in der Geschichte einzigartige und offenbar noch nicht abgeschlossene Social-Media-Radikalisierung. Einzigartig vor allem, weil die Plattform, die ihn am heftigsten zu radikalisieren scheint, seine eigene ist. Elon Musk ist zu einem offen rechtsgerichteten, menschenfeindlichen Trollmilliardär geworden, ausgestattet zudem mit einer Impulskontrolle, für die sich selbst sechs Monate alte Welpen mit ADHS schämen würden. Musk hat allein in diesem Jahr »die Medien« des Rassismus gegen Weiße bezichtigt, antisemitische Erzählungen über George Soros getwittert, rechtsextreme Verschwörungstheorien über einen rassistischen Massenmord verbreitet, Sympathien für die rechtsextreme Verschwörungsideologie des »Großen Austausch« gezeigt sowie jede Menge anderer Einblicke in eine wechselhafte, narzisstisch scheinende, durch und durch unzuverlässige Persönlichkeitsstruktur preisgegeben.

Drastische Eingriffe in die Meinungsfreiheit

Vielleicht noch etwas bedrohlicher ist aber, dass er diese Überzeugungen und Eigenschaften nicht nur in seine Tweets, sondern auch auf Twitter selbst überträgt. Zum Beispiel hat er jede Menge Neonazis zurück auf die Plattform gelassen. Oder den aus der Geschlechterforschung stammenden Begriff »cisgender« auf seiner Plattform zum »slur«, zum Schimpfwort erklärt. Was wiederum einen drastischen Eingriff in die von ihm im vergangenen Jahr vorgeblich so hochgelobte Meinungsfreiheit darstellt, weil Tweets mit bestimmten Schimpfworten in der Sichtbarkeit heruntergestuft werden und die dazugehörigen Accounts rasch gesperrt werden können.

Deshalb ist es so verständlich, dass Anfang Juni von einem Meta-Manager folgender Satz bekannt wurde: »Wir haben von Creators und Prominenten erfahren, dass sie interessiert sind an einer Plattform, die vernunftorientiert arbeitet.« Der Hintergrund: Meta, die Mutter von Instagram, Facebook und WhatsApp, arbeitet seit einiger Zeit an einem Twitter-Klon mit dem für deutsche Ohren etwas rumpeligen Namen »Threads«. Der wird allem Anschein nach an diesem Donnerstag veröffentlicht – wenn auch wegen rechtlicher Unsicherheiten vorerst nicht in Deutschland und anderen EU-Ländern. Twitter-Klon ist dabei keine Unterstellung, sondern eine Tatsachenbeschreibung, denn die ersten Screenshots sehen sowohl von der Gestaltung wie auch von den Funktionalitäten ziemlich exakt aus wie Twitter.

Das folgt einem Muster, nämlich einem der zentralen Erfolgsrezepte von Mark Zuckerberg. Der ist ohne Zweifel unternehmerisch wie digitalstrategisch höchst begabt, aber das äußert sich auch dadurch, dass er Konzepte und Ideen anderer Social Networks schamlos übernommen hat. Bei der Timeline von Facebook hat Zuckerberg sich von Twitter inspirieren lassen, Storys von Instagram hat er von Snapchat adaptiert, Reels bei Instagram sind eine eindeutige Anleihe an TikTok und die Innovationen bei WhatsApp, die mutmaßlich von WeChat, Telegram oder anderen Messengern abgeschaut sind, lassen sich im Detail kaum zählen. Das hört sich etwas schmierlappig an, war faktisch aber geschäftlich fast immer für Meta sehr sinnvoll.

Bei Twitter gibt es kein Mindestmaß an Zuverlässigkeit mehr

Threads hat im Sommer 2023 drei elementare Startvorteile, die einen Erfolg nicht garantieren, aber wahrscheinlicher machen.

Erstens ist der Rechtsabsturz und die Unvorhersehbarkeit von Elon Musk für Twitter extrem toxisch. Aktivitäten in sozialen Medien kann man immer auch als Investition begreifen, zum Beispiel Zeit und Kreativität, die Nutzer*innen investieren, um eine Reichweite aufzubauen. Oder Geld, das Unternehmen investieren, um Wirkungskommunikation zu verbreiten. Aber jede Form von Investition braucht eine gewisse Mindestzuverlässigkeit, und die ist nicht mehr gegeben. Nicht-rechte, aktive Twitternutzer*innen haben deshalb einen hohen Anreiz, das neue Netzwerk auszuprobieren.

Zweitens ist Meta eine nahezu perfekt funktionierende Verkaufsmaschine für Werbung in sozialen Medien. Meta hat im Jahr 2022 rund 113 Milliarden Dollar Werbeumsatz verbuchen können, außer Google kann das niemand auch nur annähernd so gut. Twitter dagegen war schon vor Elon Musk eine Geldvernichtungsmaschine. Und Musk hat sie bei genau dieser Eigenschaft noch effizienter gemacht und Milliarden und Abermilliarden vernichtet, an Werbeumsätzen ebenso wie an Börsenwert. Threads wird sicher davon profitieren, dass Meta von Anfang an sehr gute Werbeangebote in Kombination mit Instagram machen kann.

Drittens erkennt man einen massiven Vorteil bereits an der Präsentation im App-Store. Dort steht: »Threads, an Instagram app«. Threads wird halb automatisiert sehr eng an Instagram geknüpft, sodass es für die 1,3 Milliarden Nutzer*innen von Instagram vom Start weg attraktiv sein wird, es auszuprobieren. Zum Beispiel kann man auf Threads mit ein paar Klicks den gleichen Leuten folgen wie auf Instagram. Und man kann seinen Nutzernamen übertragen, was gerade für die großen Accounts fast einen Automatismus darstellt: den eigenen Namen in einem neuen, relevanten Netzwerk zu sichern.

Besser kann man ein neues Social Network kaum starten, deshalb hängt es vor allem von zwei Faktoren ab, ob Threads ein Erfolg wird. Twitter stammt konzeptionell von 2005, also aus einer Zeit, in der digitalsoziale Interaktion vor allem durch SMS stattfand. Deshalb hatte Twitter zu Beginn auch eine Längenbegrenzung von 140 Zeichen und eine Reduktion auf Text. Die Frage ist, ob ein stark textorientiertes Social Network heute noch so attraktiv werden kann oder ob das Konzept selbst sich überlebt hat.

Fängt Kim Kardashian an zu threaden?

Der zweite Erfolgsfaktor hängt mit einer sehr wesentlichen Funktion von Twitter zusammen: Die Plattform ist das, was einer Weltöffentlichkeit am nächsten kommt. Deshalb war der Aufstieg von Bewegungen wie #blacklivesmatter oder #MeToo ohne Twitter kaum denkbar, deshalb ist Elon Musks rechte Überzeugung so bitter für den gesellschaftlichen Fortschritt. Ob Threads aus dem Stand diese Funktion der Weltöffentlichkeit von Twitter nachvollziehen kann, entscheidet letztlich über den Erfolg. Das wiederum hängt an kleineren technischen und gesellschaftlichen Entscheidungen: Funktioniert auf Threads die Verlinkung ins freie Netz, kann man also Traffic lenken? Ist das Netzwerk ohne Account zugänglich? Wie ist die Discoverability inszeniert, wie gut kann man also interessante Inhalte und Accounts finden? Wie schnell entwickelt sich ein mediales Ökosystem auf und um Threads, engagieren sich Leitmedien von Anfang an oder warten sie ab? Und auch das Verhalten der Influencer*innen und Multiplikator*innen wird entscheidend sein, am Beispiel der Frage: Fängt Kim Kardashian an zu threaden? Und bleibt sie über die ersten Tage hinaus dabei?

Das sind sicher alles spannende Fragen. Die zugleich spannendste und absurdeste aber ist die des Käfigkampfes. Denn in einem der höchsten jemals erreichten Peaks toxischer Maskulinität haben Elon Musk und Mark Zuckerberg offenbar beschlossen, anlässlich der Veröffentlichung von Threads einen Käfigkampf auszutragen. Es ist unklar warum genau und auch wo und wann, aber eingedenk der Hybris von Elon Musk und der Präzision und Hartnäckigkeit von Zuckerberg setze ich alles auf Mark.

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